Hallo HeadSwitch, hallo @ll,
Wie erklärt man den Eltern von Neugeboren schwerstbehinderten Kindern, dass auch deren Steuergelder zur Zeit schon teilweise dafür genutzt werden, andere, weniger- oder gleichschwer behinderte Personen finanziell deutlich besser zustellen als dies bei ihren eigenen Kindern ist/sein wird?
Genau bei diesen Personen und deren Umfeld wird es sehr schwer werden, Verständnis und Zustimmung für weitere bzw. erhöhte pauschale finanzielle Zuwendungen an Contergangeschädigte aus dem Staatssäckel zu erlangen.
ich finde, die hiesige Diskussion wird insgesamt falsch geführt, weil von falschen Prämissen ausgegangen wird:
Zunächst einmal halte ich Conterganrentenstiftung an sich schon für Unrecht, weil sie lediglich den Zweck hatte, Grünenthal von den angerichteten Gesamtschaden zu entlasten und uns auf den Großteil der Schadenslast sitzen zu lassen.
Die Stiftung ist zudem Unrecht gegenüber dem Steuerzahler, weil sie den von ihr getragenen Minimalanteil des Schadens auf die Allgemeinheit und nicht auf den Verursacher verteilt.
Der Zweck war es:
Es sollte verhindert werden, dass es durch die Contergansache einen Präzedenzfall für die gesamte deutsche Industrie gibt, bei dem die Geschädigten vollständig nach dem Gesamtschaden entschädigt werden.
Auch das halte ich schon an sich für ein Unrecht.
Das Mittel, mit dem dieser Zweck erreicht wurde, heißt Korruption.
Und auch dies ist für mich schon Unrecht an sich.
Verantwortlich für diesen Umstand ist nicht Grünenthal und auch nicht Henkel allein (wenn denn Henkel überhaupt etwas damit zu tun hat).
Die damalige Bundesregierung war daran aktiv beteiligt:
Sobald es klar war, dass es den Vergleich geben wird, d.h. unsere 100 Millionen DM zur Verfügung stehen würden, trat die Bundesregierung an die Elternverbände heran, um mit ihnen über ein entsprechendes Stiftungsgesetz zu verhandeln.
Zunächst ging es sogar um eine sogenannte nationale Stiftung, in der wir unsere 100 Millionen DM aus dem Vergleich, der Bund 100 Millionen DM und die deutsche Industrie weitere 100 Millionen DM einzahlen sollten.
Diese Stiftung sollte für alle behinderten Kinder Deutschlands (nicht nur für uns) Geldmittel ausschütten.
Das Unredliche daran war schon, dass man unsere Schadensersatzgelder aus dem Vergleich auf diese Weise für die verabsäumte Behindertenpolitik des Bundes der Vorjahre mit verwenden wollte.
Nachdem die Elternverbände forderten, dass unsere Vergleichsmillionen im Rahmen einer solchen Stiftung auch nur für uns verwendet werden, wurde gegen uns in den Medien Stimmung gemacht, in dem der Begriff "Conterganadel" geprägt wurde.
D.h., schon damals wurde uns vorgeworfen, dass wir unsere Schadensersatzgelder nur für uns haben wollten.
Nachdem sich unsere Eltern diesem Druck nicht gebeugt haben, wurden bei den Stiftungsverhandlungen Entwürfe vorgelegt, die einen abgesonderten Teil speziell für uns enthielten.
Nachdem unsere Eltern und insbesondere Herr Dr. Dr. Schreiber auch hier Verbesserungen (Dynamisierung der Renten usw.) verlangten, wurde auch hier auf uns massiv Druck ausgeübt:
Der Vergleich enthielt eine Bestimmung, nach der die Vergleichsmillionen von Grünenthal nur gezahlt werden brauchten, wenn die Krankenkassen und die Sozialhilfeträger auf ihre übergeleiteten Ansprüche aus unseren Schäden verzichteten.
Übergeleitete Ansprüche sind Ansprüche, bei denen die Krankenkassen und Sozialämter die uns bereit gestellten Sozialleistungen gegenüber Grünenthal hätten einklagen können, die sie bis zur Unterzeichnung des Vergleichs und danach an uns gezahlt hatten oder bis heute hätten zahlen müssen.
Anfangs verzichteten die meisten Krankenkassen und Sozialämter in entsprechenden Erklärungen auch darauf.
Aber, nachdem es von unserer Seite Bestrebungen gab, die Stiftungsgesetzentwürfe zu verbessen, blieben die Erklärungen der restlichen Kassen und Ämter plötzlich aus.
Es gab Hinweise, dass die Bundesregierung auf die restlichen Kassen und Ämter einwirkte, um diese dazu zu bewegen, keine Erklärungen mehr abzugeben.
Denn der letzte Stiftungsgesetzentwurf enthielt eine Bestimmung, der solche Erklärungen überflüssig machte und übergeleitete Ansprüche von Sozialämtern und Krankenkassen gesetzlich aufhob.
Unsere Eltern wurden daher aktiv zur Stiftungslösung gedrängt.
Nachdem Herr Dr. Dr. Schreiber unsere Eltern in Rundschreiben warnte, dass sie über den Tisch gezogen werden und innerhalb der Elternschaft die Stimmung gegen die Stiftung umschlug, gab Grünenthal gegenüber der Bundesregierung eine einklagbare Garantie ab, dass sie die Stiftung ins Leben rufen werde.
Als das Stiftungsgesetz daraufhin für in Kraft getreten erklärt wurde, klagte Grünenthal die Vergleichsgelder von uns wieder heraus und zahlte sie in die Stiftung ein.
Das heutige Ergebnis kennt ihr ja.
Und bei anderen Pharmazieskandalen (Bluter-Aids-Skandal) und Produkthaftungsskandalen (Holzschutzmittelskandal) wird diese Form der "Gesamtschadensbereinigung" kopiert.
Daher bin ich dafür:
Wir müssen diese Form des fortlaufenden Unrechts bzw. der fortsetzenden Anwendung dieser Schadensersatzmodelle, die die Schädiger entlasten und den Geschädigten auf der Schadenslast sitzen lassen, durchbrechen.
Wir müssen mit dem Unrecht aufräumen, dass die Allgemeinheit bei solchen Skandalen die Hauptlast trägt, eben damit für die vielen Bedürftigen bei uns mehr übrig bleibt.
Nicht die Bundesregierung hat die Verantwortung und Fürsorgepflicht für den von Grünenthal angerichteten Gesamtschaden durch die Stiftung übernommen.
Sie hat diese Verantwortung und Fürsorgepflicht ungerechtfertigterweise auf die steuerzahlende Allgemeinheit verteilt.
Und dies zum Nachteil anderer Bedürftiger.
Daher:
Wir sollten die Würde haben, den Steuerzahler nicht erneut dafür in Anspruch zu nehmen, was Grünenthal und eine korrupte Bundesregierung ihm und uns aufgelastet hat.
Umso mehr wird der Steuerzahler auch auf unserer Seite sein.
Laßt uns das in Sachen Contergan Geschehene insgesamt für Unrecht erklären.
Nicht, weil uns jemand das Recht dazu gibt.
Sondern, weil wir uns unser Recht dazu nehmen.
Fordern wir von Grünenthal das, was uns zusteht.
Und zwar den gesamten Schaden.
Natürlich kann man die Art ( Schwere ) der Behinderungen nicht immer zwingend miteinander vergleichen, aber es dürfte schon allen klar sein, dass es viele Fälle gibt bei denen die Notwendigkeit einer höheren staatlichen finanziellen Unterstützung auch bzw. noch dringender gegeben ist als pauschal bei allen Contergangeschädigten.
Dies soll nun aber nicht heißen, dass es keine Contergangeschädigten gibt, bei denen eine höhere staatliche finanzielle Unterschützung von Nöten sei; Nur pauschal ist dies eben nicht bei allen notwendig…
Im übrigen bin ich dafür, Menschenschicksale nicht miteinander aufzuwiegen.
Da bei allen behinderten Menschen in diesem Lande der behinderungsbedingte Bedarf lediglich am Existenzminimum gedeckt wird, sollten wir bereits aus solidarischen Gründen froh sein, wenn einige von uns es schaffen, ihre Bedarfssituation zu verbessern.
Ich als Sehender neide daher den Blinden nicht ihr Blindengeld usw.
Gruß
Andreas
PS.
Ich bin auch dafür, diesen Thread in den nichtöffentlichen Teil zu legen.